Veranstaltung an der Gedenkstele

Veröffentlicht am 03.04.2012 in Kampf gegen Menschenfeindlichkeit


TA Artikel und die

Rede von Oberbürgermeisterin Barbara Rinke anlässlich der Gedenkveranstaltung zum 76. Jahrestag der Bombardierung der Stadt Nordhausen

Mit einer Veranstaltung an der Gedenkstele vor dem Nordhäuser Rathaus hat Dienstagmorgen die Stadt der Toten der Bombardierung vom 3. und 4. April vor 67 Jahren gedacht. Als Vertreter der NPD einen Kranz an der Stele niederlegten, gab es Unruhe und Unmutsäußerungen.
Nordhausen. Ein Schwerpunkt der Veranstaltung in diesem Jahr lag auch in der Ehrung jener, die Widerstand gegen den Nationalsozialismus leisteten. Zum Zeichen der Ehrung und des Gedenkens wurden weiße Rosen niederlegt, auch mit Blick auf die gleichnamige antifaschistische Widerstandsgruppe um Hans und Sophie Scholl.

Nordhäuserinnen und Nordhäuser, Vertreter der Parteien, Landtagsabgeordnete, Mitglieder von Vereinen und Verbänden sowie Bürgermeister und Landräte aus den Nachbarkreisen legten weiße Rosen an der Stele nieder. "Lassen Sie uns nun der Toten gedenken und mit jeder niedergelegten Rose Zeugnis ablegen für Menschlichkeit, Mitgefühl, aber auch für Courage und Mut", sagte Nordhausens Oberbürgermeisterin Barbara Rinke in ihrer Ansprache.

Als Vertreter der NPD einen Kranz an der Stele niederlegten, gab es Unruhe und Unmutsäußerungen aus Reihen der Veranstaltungsteilnehmer. "Die Situation drohte zu eskalieren. Die Würde der Toten, um deren Willen wir uns schließlich versammelt hatten, die Würde der gesamten Veranstaltung war in Gefahr. Das war unakzeptabel. Um eine Eskalation der Situation zu verhindern, habe ich wie angekündigt den Kranz der NPD genommen, um ihm den Vertretern der Partei zurückzugeben", sagte Nordhausens Oberbürgermeisterin Barbara Rinke . Darauf hin sei sie massiv verbal attackiert worden. Die Polizei musste einschreiten.

Rede von Oberbürgermeisterin Barbara Rinke anlässlich der Gedenkveranstaltung zum 76. Jahrestag der Bombardierung der Stadt Nordhausen
"Wenn jeder wartet, bis der andere anfängt, werden die Boten der rächenden Nemesis unaufhaltsam näher und näher rücken, dann wird auch das letzte Opfer sinnlos in den Rachen des unersättlichen Dämons geworfen sein. Daher muß jeder einzelne seiner Verantwortung als Mitglied der christlichen und abendländischen Kultur bewußt... sich wehren, soviel er kann, arbeiten wider die Geißel der Menschheit, wider den Faschismus und jedes ihm ähnliche System des absoluten Staates. Leistet passiven Widerstand - Widerstand -, wo immer Ihr auch seid... ehe es zu spät ist..."

Mit diesen Worten aus dem 1. Flugblatt der jungen Menschen der Widerstandsbewegung "Weiße Rose" aus dem Sommer 1942 begrüße ich Sie zum diesjährigen Gedenken an die Zerstörung unserer Stadt am 3. und 4. April 1945. Vor nunmehr 67 Jahren verloren an diesen zwei Tagen Tausende Menschen ihr Leben im Bombenhagel. Nicht erst seit gestern wissen wir, dass die genaue Zahl der Opfer bisher nicht festzustellen war. Aber unser Gedenken gilt nicht historischen Statistiken, sondern es ist den Vielen gewidmet, die ihr Leben verloren. Unser ehrliches Gedenken wird der genauen Zahl, seien es nun 8800 oder 8790, keinen Abbruch tun. In diesem Jahr wollen wir mit der weißen Rose symbolisch auch jene ehren, die damals aufrecht und mutig ihr Leben lassen mussten, weil sie sich gegen die Unmenschlichkeit der Hitler-Diktatur auflehnten.

Die Weiße Rose war der Name einer christlich motivierten Widerstandsgruppe in München während der Zeit des Nationalsozialismus. Im Juni 1942 wurde die Gruppe gegründet und bestand bis zum Februar 1943. Die Mitglieder der Weißen Rose verfassten, druckten und verteilten unter Lebensgefahr insgesamt sechs Flugblätter, in denen zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus aufgerufen wurde. Mitglieder der Weißen Rose waren die beiden Geschwister Hans und Sophie Scholl sowie deren Kommilitonen Christoph Probst, Willi Graf und Alexander Schmorell und ihrem Professor Kurt Huber.

"Wenn jeder wartet, bis der andere anfängt...: Und nun, meine sehr geehrten Damen und Herren, schlage ich den Bogen in die Gegenwart. Viele Menschen in Deutschland, die Polizei, die Behörden, sie haben zu lange gewartet. Am Ende waren neun Menschen tot, die Stadt Köln wurde mit einem Nagelbombenattentat terrorisiert. Die Täter des Nationalsozialistischen Untergrunds waren bekennende Rechtsradikale. Zeichen auf ihr Treiben gab es im Vorfeld viele, Mahnungen auch - doch niemand wollte sie wahrhaben. Im Gegenteil: Stets wurde abgewiegelt, nein, ein politischer Hintergrund könne ausgeschlossen werden. Am Ende wurden Menschen zu Grabe getragen und täglich erreichen uns neue, unfassbare Details des Treibens dieser neuen Nationalsozialisten.

Auch die Gruppe um die Scholls hatte damals öffentlich gewarnt - aus Liebe zu Deutschland, als wahre deutsche Patrioten und als Humanisten. Sie hatten ihre Stimme erhoben und zur Feder gegriffen. Letztlich fielen sie dem Verrat zum Opfer - der Hörsaaldiener der Münchner Universität, Jakob Schmidt, denunzierte und lieferte sie damit den Henkern aus. Der Judas-Lohn: 3000 Reichsmark und die Beförderung vom Arbeiter zum Angestellten.

Die Aufrechten, es gab sie auch hier, in Nordhausen, in jenen finsteren Tagen des Nationalsozialismus: Sie hießen z. B. Dr. Kurt Isemann oder Emil Reichardt, es waren Curt Joedicke, Berta Gerlach und Ida Kelle - Namen, die leider kaum noch jemand kennt. Sie waren Nervenarzt, Hausmeister oder Hebammen - einfache Menschen, die allerdings Großes vollbrachten: Sie halfen mit, Menschen vor dem Tod zu retten, in dem sie ihrem eigenen moralischen Urteil vertrauten und damit erkannten, wo Unrecht geschah - und in der Endkonsequenz mutig handelten. Und es gab in Nordhausen auch jene, die ihre Menschlichkeit mit dem Leben zahlen mussten, weil sie sich für Bedrohte einsetzten.

Die ganze Familie Schierholz unterhielt freundschaftliche Beziehungen zu ihren Nachbarn, den jüdischen Familien Schwabe und Heilbrun, die nur einen Steinwurf entfernt eine große Pferdehandlung besaßen. In den Jahren des etablierten Nationalsozialismus wurden alle Juden drangsaliert und genötigt, ihren Besitz zu veräußern und Deutschland nach Möglichkeit zu verlassen, wobei ihnen ihr Vermögen fast vollständig abgenommen wurde. Louis Schierholz war ein Mann von liberaler, weltoffener Einstellung, der stets für Recht und Freiheit plädierte. Er stand zu seinen jüdischen Freunden auch in der kritischen Zeit ihrer Bedrängnis. Er half ihnen, das Gepäck zum Auswandererschiff zu transportieren, begleitete sie zur Abreise.

Die Quittung für eine solche demonstrative Hilfe für Juden folgte sofort nach seiner Rückkehr. Louis wurde kurz nach dem Pogrom vom November 1938, das er zweifellos mit Gästen des Lokals missbilligend besprochen hat, am 01.12.1938 verhaftet. Die Gestapo suchte seine Angehörigen auf und bedrohte auch diese mit Festnahme. Eine "Leserzuschrift" an die SS-Zeitschrift "Das schwarze Korps" hatte L o u i s denunziert. Er wurde als Nummer 462 im Block 43 des Konzentrationslagers Buchenwald, eingestuft als "ASR", gefangengehalten. Unter den unmenschlichen Lagerbedingungen blieb er bis zum 7. März 1940 dort. Die Nazis stuften ihn als so widerständig und unverbesserlich ein, dass sie ihn in das damals als besonders bösartig verschrieene KZ Mauthausen verlegten. Dort sollte er unter den Lagerbedingungen der Stufe III (das heißt: "Rückkehr unerwünscht") zerbrechen. Ein Naziführer aus Nordhausen soll sich für eine "Sonderbehandlung" des Häftlings Schierholz in Mauthausen eingesetzt haben!

Am 15. August 1940 wurde L o u i s als Häftling Nummer 14730 in einem schlechten körperlichen Zustand in das KZ der Kategorie II, Dachau, überstellt. Sein Zustand besserte sich dort nicht, er war schon lange nicht mehr arbeitsfähig und psychisch äußerst angegriffen. In diesem Zustand wurde er am 10. Juli 1941 seinen Angehörigen am Lagertor übergeben. Er ist nie wieder gesund geworden und starb an den Folgen der Lagerhaft am 10. Juli 1943 in Nordhausen. An dieser Stelle sei stellvertretend den Herren Gündel und Dr. Schröter gedankt, die das Schicksal der Opfer und das jener Mutiger für die Nachwelt zu Papier und damit vor dem Vergessen bewahrt haben.

TA Nordhausen, 03.04.2012

 

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